Auszug aus dem Entscheid Nr. 187/2021 vom 23. Dezember 2021 Geschäftsverzeichnisnummern 6749 und 6755 In Sachen: Klagen auf völlige oder teilweise Nichtigerklärung des Gesetzes vom 24. Februar 2017

Auszug aus dem Entscheid Nr. 187/2021 vom 23. Dezember 2021

Geschäftsverzeichnisnummern 6749 und 6755

In Sachen: Klagen auf völlige oder teilweise Nichtigerklärung des Gesetzes vom 24. Februar 2017 « zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern im Hinblick auf die Verstärkung des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit », erhoben von der Kammer der französischsprachigen und deutschsprachigen Rechtsanwaltschaften und von der VoG « Association pour le droit des Etrangers » und anderen.

Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten P. Nihoul und L. Lavrysen, den Richtern J.-P. Moerman, T. Giet, R. Leysen, J. Moerman, M. Pâques, Y. Kherbache, T. Detienne, D. Pieters und S. de Bethune, und dem emeritierten Präsidenten F. Daoût gemäß Artikel 60bis des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des emeritierten Präsidenten F. Daoût,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

  1. Gegenstand der Klagen und Verfahren

    1. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 19. Oktober 2017 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 20. Oktober 2017 in der Kanzlei eingegangen ist, erhob die Kammer der französischsprachigen und deutschsprachigen Rechtsanwaltschaften, unterstützt und vertreten durch RÄin S. Sarolea und RA J. Hardy, in Wallonisch-Brabant zugelassen, Klage auf völlige oder teilweise (Artikel 5 bis 52) Nichtigerklärung des Gesetzes vom 24. Februar 2017 « zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern im Hinblick auf die Verstärkung des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit » (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 19. April 2017).

    2. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 19. Oktober 2017 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 23. Oktober 2017 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf völlige oder teilweise (Artikel 5, 6, 12 bis 14, 17 bis 19, 21, 22, 24 bis 26, 28 bis 31, 33, 34, 37, 41 und 45) Nichtigerklärung desselben Gesetzes: die VoG « Association pour le droit des Etrangers », die VoG « Coordination et Initiatives pour et avec les Réfugiés et Etrangers », die VoG « Ligue des Droits de l'Homme » und die VoG « Vluchtelingenwerk Vlaanderen », unterstützt und vertreten durch RÄin M. Van den Broeck und RÄin P. Delgrange, in Brüssel zugelassen, und RÄin C. Driesen, in Antwerpen zugelassen.

    Diese unter den Nummern 6749 und 6755 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.

    In seinem Zwischenentscheid Nr. 112/2019 vom 18. Juli 2019, veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 26. August 2019, hat der Verfassungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Vorabentscheidungsfragen gestellt:

    1. Sind das Recht der Union und insbesondere die Artikel 20 und 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 ' über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ' dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die auf Unionsbürger und ihre Familienmitglieder ähnliche Bestimmungen anwenden wie diejenigen, die bezüglich der Drittstaatsangehörigen die Umsetzung von Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 ' über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ' darstellen, das heißt Bestimmungen, mit denen der Unionsbürger oder sein Familienmitglied gezwungen werden kann, sich an präventive Maßnahmen zur Vermeidung einer Fluchtgefahr während der Frist, die ihm zum Verlassen des Staatsgebiets gewährt wurde, nachdem ein Beschluss zur Beendigung des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung ergangen ist, oder während der Verlängerung dieser Frist zu halten?

    2. Sind das Recht der Union und insbesondere die Artikel 20 und 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 ' über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ' dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die auf Unionsbürger und ihre Familienmitglieder, die sich nicht an einen Beschluss zur Beendigung des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gehalten haben, die gleiche Bestimmung anwenden, die auf Drittstaatsangehörige in der gleichen Situation angewandt wird, was die Höchstdauer der Festhaltung zu Zwecken der Entfernung betrifft, das heißt acht Monate?

    .

    In seinem Urteil vom 22. Juni 2021 in der Rechtssache C-718/19 hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Fragen geantwortet.

    (...)

  2. Rechtliche Würdigung

    (...)

    In Bezug auf die angefochtenen Bestimmungen

    B.1.1. Durch die Artikel 28, 29, 30, 31 und 32 des Gesetzes vom 24. Februar 2017 « zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern im Hinblick auf die Verstärkung des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit » (nachstehend: Gesetz vom 24. Februar 2017) werden in das Gesetz vom 15. Dezember 1980 « über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern » (nachstehend: Gesetz vom 15. Dezember 1980) die Artikel 44quater bis 44octies eingefügt, die bestimmen:

    Art. 44quater. Solange die in Artikel 44ter erwähnte Frist läuft, darf der Unionsbürger beziehungsweise sein Familienmitglied nicht unter Zwang entfernt werden.

    Um eine Flucht während der in Artikel 44ter erwähnten Frist zu vermeiden, können dem Unionsbürger beziehungsweise seinem Familienmitglied präventive Maßnahmen auferlegt werden. Der König ist befugt, diese Maßnahmen durch einen im Ministerrat beratenen Erlass zu bestimmen

    .

    Art. 44quinquies. § 1. Der Minister oder sein Beauftragter ergreift alle erforderlichen Maßnahmen, um die Anweisung das Staatsgebiet zu verlassen auszuführen, wenn:

    1. dem Unionsbürger oder seinem Familienmitglied keine Frist für das Verlassen des Staatsgebiets des Königreichs gewährt worden ist,

    2. der Unionsbürger oder sein Familienmitglied das Staatsgebiet des Königreichs nicht binnen der ihm gewährten Frist verlassen hat,

    3. bei dem Unionsbürger oder seinem Familienmitglied vor Ablauf der gewährten Frist für das Verlassen des Staatsgebiets des Königreichs eine Fluchtgefahr besteht, der Betreffende die auferlegten präventiven Maßnahmen nicht eingehalten hat oder er eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellt.

    § 2. Widersetzt sich der Unionsbürger beziehungsweise sein Familienmitglied seiner Entfernung oder stellt der Betreffende während seiner Entfernung eine Gefahr dar, wird seine Rückführung vorgenommen, gegebenenfalls unter Begleitung. Unter Berücksichtigung der Artikel 1 und 37 des Gesetzes vom 5. August 1992 über das Polizeiamt dürfen dann Zwangsmaßnahmen gegen ihn ergriffen werden.

    Wird die Entfernung auf dem Luftweg ausgeführt, werden die Maßnahmen gemäß den gemeinsamen Leitlinien für Rückführungen auf dem Luftweg - Anhang zur Entscheidung 2004/573/EG - ergriffen.

    § 3. Der König bestimmt durch einen im Ministerrat beratenen Erlass die Instanz, die mit der Kontrolle der Maßnahmen zur Rückführung beauftragt ist, und legt die Modalitäten dieser Kontrolle fest. Diese Instanz ist unabhängig von den in Sachen Entfernung zuständigen Behörden

    .

    Art. 44sexies. Wenn es die jeweiligen Umstände des Einzelfalls rechtfertigen, kann der Minister oder sein Beauftragter die Entfernung vorübergehend aufschieben. Er setzt den Betreffenden davon in Kenntnis.

    Um eine Flucht zu vermeiden, können dem Unionsbürger beziehungsweise seinem Familienmitglied präventive Maßnahmen auferlegt werden. Der König ist befugt, diese Maßnahmen durch einen im Ministerrat beratenen Erlass zu bestimmen.

    Für die Zeit, die für die Ausführung dieser Maßnahme notwendig ist, kann der Minister oder sein Beauftragter dem Unionsbürger beziehungsweise seinem Familienmitglied in denselben Fällen einen Aufenthaltsort zuweisen

    .

    Art. 44septies. § 1. Wenn Gründe der öffentlichen Ordnung, der nationalen Sicherheit oder der Volksgesundheit dies erfordern und wenn keine anderen weniger intensiven Maßnahmen wirksam angewandt werden können, können Unionsbürger und ihre Familienmitglieder im Hinblick auf die Gewährleistung der Ausführung der Entfernungsmaßnahme für die Zeit, die für die Ausführung der Maßnahme unbedingt notwendig ist, festgehalten werden, ohne dass die Dauer der Festhaltung zwei Monate überschreiten darf.

    Der Minister oder sein Beauftragter kann jedoch die Dauer dieser Festhaltung um Zeiträume von jeweils zwei Monaten verlängern, wenn die nötigen Schritte zur Entfernung des Ausländers binnen sieben Werktagen nach Festhaltung des Unionsbürgers beziehungsweise seines Familienmitglieds unternommen worden sind, wenn sie mit der erforderlichen Sorgfalt fortgeführt werden und wenn die effektive Entfernung des Betreffenden binnen einer annehmbaren...

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