Auszug aus dem Entscheid Nr. 194/2019 vom 5. Dezember 2019 Geschäftsverzeichnisnummern 6429, 6462, 6464 und 6465 In Sachen: Klagen auf Nichtigerklärung der Artikel 110

Auszug aus dem Entscheid Nr. 194/2019 vom 5. Dezember 2019

Geschäftsverzeichnisnummern 6429, 6462, 6464 und 6465

In Sachen: Klagen auf Nichtigerklärung der Artikel 110, 111 und 112 des Gesetzes vom 26. Dezember 2015 « über Maßnahmen zur verstärkten Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Stärkung der Kaufkraft », erhoben vom Berufsverband « Belgisch Syndicaat van Chiropraxie » und Bart Vandendries (Art. 110), vom Berufsverband « Belgische Unie van Osteopaten » und anderen (Art. 110), von der « Plast.Surg. » PGmbH und anderen (Art. 110 und 111) und von der VoG « Belgian Society for Private Clinics » und anderen.

Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten A. Alen und F. Daoût, den Richtern L. Lavrysen, J.-P. Moerman, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, T. Giet, R. Leysen und M. Pâques, und dem emeritierten Richter E. Derycke gemäß Artikel 60bis des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten A. Alen,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

  1. Gegenstand der Klagen und Verfahren

    1. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 13. Mai 2016 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 17. Mai 2016 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 110 des Gesetzes vom 26. Dezember 2015 « über Maßnahmen zur verstärkten Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Stärkung der Kaufkraft » (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 30. Dezember 2015, zweite Ausgabe): der anerkannte Berufsverband « Belgisch Syndicaat van Chiropraxie » und Bart Vandendries, unterstützt und vertreten durch RÄin E. Maes, in Brüssel zugelassen, und RÄin M. Denef, in Löwen zugelassen.

    2. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 28. Juni 2016 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 30. Juni 2016 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 110 des vorerwähnten Gesetzes: der Berufsverband « Belgische Unie van Osteopaten », der Berufsverband « Unie van Osteopaten », der Berufsverband « Belgische Vereniging voor Osteopathie, Beroepsverening van de Belgische Osteopaten », Aymeric Tassin und Maika Debisschop, unterstützt und vertreten durch RA J. Bosquet und RA B. Hermans, in Antwerpen zugelassen.

    3. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 29. Juni 2016 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 30. Juni 2016 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf Nichtigerklärung der Artikel 110 und 111 des vorerwähnten Gesetzes: die « Plast.Surg. » PGmbH, Marianne Mertens, die « Dokter Alexis Verpaele Plastische Chirurgie » PGmbH, die « Phryne » PGmbH und die VoG « Koninklijke Belgische Vereniging voor Plastische, Reconstructieve en Esthetische Chirurgie », unterstützt und vertreten durch RA T. De Gendt, in Löwen zugelassen.

    4. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 28. Juni 2016 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 30. Juni 2016 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf Nichtigerklärung der Artikel 110, 111 und 112 des vorerwähnten Gesetzes: die VoG « Belgian Society for Private Clinics », Bart Decoopman, Wim De Maerteleire, die « Clara Invest » AG, die « Mediplast » PGmbH, die « Dr. Plovier - Dr. Czupper » PGmbH, die « Robin Van Look » PGmbH und die « Da Vinci Clinic » PGmbH, unterstützt und vertreten durch RÄin S. Tack, in Westflandern zugelassen.

    Diese unter den Nummern 6429, 6462, 6464 und 6465 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.

    In seinem Zwischenentscheid Nr. 106/2017 vom 28. September 2017, veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 24. Januar 2018, hat der Verfassungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Vorabentscheidungsfragen gestellt:

    1. Ist Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass diese Bestimmung die darin erwähnte Befreiung sowohl hinsichtlich der konventionellen als auch der nicht konventionellen Praktiken den Inhabern eines den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Gesundheitspflegeberufe unterliegenden ärztlichen oder artzähnlichen Berufs, die den in diesen innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Anforderungen entsprechen, vorbehält und dass Personen, die nicht diesen Anforderungen entsprechen, jedoch einer Berufsvereinigung von Chiropraktikern und Osteopaten angeschlossen sind und den durch diese Vereinigung gestellten Anforderungen entsprechen, davon ausgeschlossen sind?

    2. Sind Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, c und e, Artikel 134 und Artikel 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, in Verbindung mit den Nummern 3 und 4 von Anhang III zu dieser Richtlinie, insbesondere aus dem Blickwinkel der steuerlichen Neutralität, dahin auszulegen,

    a) dass sie einer innerstaatlichen Bestimmung entgegenstehen, die einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorsieht, der auf Arzneimittel und Medizinprodukte, die anlässlich eines Eingriffs oder einer Behandlung mit therapeutischem Charakter verabreicht werden, anwendbar ist, während Arzneimittel und Medizinprodukte, die anlässlich eines Eingriffs oder einer Behandlung mit rein ästhetischem Charakter verabreicht werden und damit eng verbunden sind, dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen,

    b) oder aber, dass sie eine Gleichbehandlung der beiden vorerwähnten Fälle erlauben beziehungsweise auferlegen?

    3. Obliegt es dem Verfassungsgerichtshof, die Folgen der gemäß den Erwägungen B.29, B.32.4, B.34.5, B.35.5, B.38.6, B.39.7 und B.40.7 für nichtig zu erklärenden Bestimmungen sowie der gegebenenfalls völlig oder teilweise für nichtig zu erklärenden Bestimmungen in dem Fall, dass aus der Beantwortung der ersten und zweiten Vorabentscheidungsfrage hervorgehen sollte, dass sie im Widerspruch zum Recht der Europäischen Union stehen, zeitweilig aufrechtzuerhalten, damit der Gesetzgeber in die Lage versetzt wird, sie mit diesem Recht in Einklang zu bringen?

    .

    In seinem Urteil vom 27. Juni 2019 in der Rechtssache C-597/17 hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Fragen geantwortet.

    (...)

  2. Rechtliche Würdigung

    (...)

    In Bezug auf die angefochtenen Bestimmungen

    B.1.1. In den Rechtssachen Nrn. 6429 und 6462 wird Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 110 erhoben, der zusammen mit Artikel 111 Abschnitt 1 (« Ästhetische Eingriffe ») von Kapitel 2 (« Mehrwertsteuer ») von Titel 3 (« Steuerrechtliche Bestimmungen ») des Gesetzes vom 26. Dezember 2015 « über Maßnahmen zur verstärkten Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Stärkung der Kaufkraft » bildet. Artikel 110 bestimmt:

    Artikel 44 des Mehrwertsteuergesetzbuches, ersetzt durch das Gesetz vom 28. Dezember 1992 und zuletzt abgeändert durch das Gesetz vom 12. Mai 2014, wird wie folgt abgeändert:

    a) Paragraph 1 wird wie folgt ersetzt:

    ' § 1. Steuerfrei sind Dienstleistungen, die von nachstehend erwähnten Personen in der Ausübung ihrer gewöhnlichen Tätigkeit erbracht werden:

    1. Ärzten, Zahnärzten und Heilgymnasten.

    Die in Nr. 1 erwähnte Befreiung gilt nicht für Dienstleistungen, die von Ärzten erbracht werden und sich auf ästhetische Eingriffe und Behandlungen beziehen:

    a) wenn diese Eingriffe und Behandlungen nicht im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind,

    b) wenn diese Eingriffe und Behandlungen zwar im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind, jedoch nicht die Bedingungen für einen Anspruch auf Erstattung gemäß den Vorschriften in Bezug auf die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung erfüllen,

    2. Hebammen, Krankenpflegern und Pflegehelfern,

    3. Fachkräften in einem anerkannten und reglementierten Heilhilfsberuf; betroffen sind ihre Leistungen heilhilfsberuflicher Art, die im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind. '

    b) Paragraph 2 Nr. 1 wird wie folgt ersetzt:

    ' 1.

    a) Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gütern, die von Pflegeanstalten und psychiatrischen Anstalten, Kliniken und Ambulatorien in der Ausübung ihrer gewöhnlichen Tätigkeit durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden.

    Von der in Buchstabe a) erwähnten Befreiung ausgeschlossen sind Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gütern, die sich auf die in § 1 Nr. 1 Absatz 2 erwähnten Eingriffe und Behandlungen beziehen,

    b) Beförderungen von Kranken und Verletzten in dafür besonders eingerichteten Fahrzeugen, '

    .

    B.1.2. In den Rechtssachen Nrn. 6464 und 6465 wird ebenfalls die Nichtigerklärung von Artikel 111 des vorerwähnten Gesetzes vom 26. Dezember 2015 beantragt. Artikel 111 bestimmt:

    Artikel 110 tritt am 1. Januar 2016 in Kraft

    .

    Zur Hauptsache

    In Bezug auf die Mehrwertsteuerpflicht für Chiropraktiker und Osteopaten

    B.2.1. Die klagenden Parteien in der Rechtssache Nr. 6429 führen als einzigen Klagegrund an, dass der angefochtene Artikel 110 des vorerwähnten Gesetzes vom 26. Dezember 2015 gegen die Artikel 10, 11 und 172 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (nachstehend: « Mehrwertsteuerrichtlinie »), verstoße, insofern im angefochtenen Artikel die Mehrwertsteuerbefreiung von der Anerkennung als ärztlicher oder arztähnlicher Beruf und der Aufnahme der Leistungen im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung (nachstehend: « LIKIV-Verzeichnis ») abhängig gemacht werde, sodass die Leistungen von Chiropraktikern von dieser Befreiung ausgeschlossen würden, ohne...

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