Auszug aus dem Entscheid Nr. 4/2024 vom 11. Januar 2024 Geschäftsverzeichnisnummern 7535

Auszug aus dem Entscheid Nr. 4/2024 vom 11. Januar 2024

Geschäftsverzeichnisnummern 7535, 7581 und 7585

In Sachen: Klagen auf völlige oder teilweise Nichtigerklärung des Dekrets der Französischen Gemeinschaft vom 12. November 2020 « zur Abänderung des Dekrets vom 12. Januar 2017 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich, im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2018/822/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden », erhoben von der faktischen Vereinigung « Belgian Association of Tax Lawyers » und anderen, von der Kammer der französischsprachigen und deutschsprachigen Rechtsanwaltschaften und vom Institut der Steuerberater und Buchprüfer.

Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten P. Nihoul und L. Lavrysen, und den Richtern T. Giet, J. Moerman, M. Pâques, Y. Kherbache, D. Pieters, E. Bribosia, W. Verrijdt und K. Jadin, unter Assistenz des Kanzlers N. Dupont, unter dem Vorsitz des Präsidenten P. Nihoul,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

  1. Gegenstand der Klagen und Verfahren

    a. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 16. März 2021 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 17. März 2021 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets der Französischen Gemeinschaft vom 12. November 2020 « zur Abänderung des Dekrets vom 12. Januar 2017 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich, im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2018/822/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden » (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 24. November 2020): die faktische Vereinigung « Belgian Association of Tax Lawyers », Paul Verhaeghe und Gerd Goyvaerts, unterstützt und vertreten durch RA P. Malherbe, in Brüssel zugelassen.

    b. Mit zwei Klageschriften, die dem Gerichtshof mit am 19. und 21. Mai 2021 bei der Post aufgegebenen Einschreibebriefen zugesandt wurden und am 21. und 26. Mai 2021 in der Kanzlei eingegangen sind, erhoben jeweils Klage auf völlige oder teilweise (Artikel 3 und 5) Nichtigerklärung desselben Dekrets: die Kammer der französischsprachigen und deutschsprachigen Rechtsanwaltschaften, unterstützt und vertreten durch RÄin S. Scarnà, in Brüssel zugelassen, und das Institut der Steuerberater und Buchprüfer, unterstützt und vertreten durch F. Judo und RÄin L. Proost, in Brüssel zugelassen.

    Diese unter den Nummern 7535, 7581 und 7585 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.

    (...)

  2. Rechtliche Würdigung

    (...)

    In Bezug auf die angefochtenen Bestimmungen

    B.1.1. Die klagenden Parteien beantragen die Nichtigerklärung des Dekrets der Französischen Gemeinschaft vom 12. November 2020 « zur Abänderung des Dekrets vom 12. Januar 2017 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich, im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2018/822/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden » (nachstehend: Dekret vom 12. November 2020).

    Dieses Dekret setzt die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 « zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen » (nachstehend: Richtlinie (EU) 2018/822) um.

    Die Richtlinie (EU) 2018/822/EG ändert die Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 « über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG » (nachstehend: Richtlinie 2011/16/EU) ab.

    Der Gegenstand der Richtlinie 2011/16/EU besteht darin, « die Regeln und Verfahren [festzulegen], nach denen die Mitgliedstaaten untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die [dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterliegenden] Steuern voraussichtlich erheblich sind » (Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2011/16/EU).

    Aus dem Erwägungsgrund 2 der Richtlinie (EU) 2018/822 ergibt sich, dass diese sich im Rahmen der Bemühungen der Europäischen Union bewegt, Steuertransparenz auf Unionsebene zu berücksichtigen:

    Für die Mitgliedstaaten wird es immer schwieriger, ihre nationalen Steuerbemessungsgrundlagen gegen Aushöhlung zu schützen, da die Steuerplanungsstrukturen immer ausgefeilter werden und sich häufig die höhere Mobilität von Kapital und Personen im Binnenmarkt zunutze machen. Derartige Strukturen umfassen häufig Gestaltungen, die für mehrere Hoheitsgebiete gemeinsam entwickelt werden und durch die steuerpflichtige Gewinne in Staaten mit vorteilhafteren Steuersystemen verlagert werden oder die eine Verringerung der Gesamtsteuerbelastung der Steuerpflichtigen bewirken. Infolgedessen kommt es häufig zu einem beträchtlichen Rückgang der Steuereinnahmen in den Mitgliedstaaten, was diese wiederum daran hindert, eine wachstumsfreundliche Steuerpolitik zu verfolgen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten umfassende und relevante Informationen über potenziell aggressive Steuergestaltungen erhalten. Diese Informationen würden die Behörden in die Lage versetzen, zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken vorzugehen und Schlupflöcher durch den Erlass von Rechtsvorschriften oder durch die Durchführung geeigneter Risikoabschätzungen sowie durch Steuerprüfungen zu schließen

    .

    Konkret müssen die Mitgliedstaaten eine zuständige Behörde benennen, die für den Austausch von Informationen über « potenziell aggressive » grenzüberschreitende Steuergestaltungen zwischen den Mitgliedstaaten verantwortlich ist. Damit die zuständigen Behörden über diese Informationen verfügen können, führt die Richtlinie eine Meldepflicht für solche Gestaltungen ein.

    B.1.2. Die Meldepflicht trifft in erster Linie die sogenannten Intermediäre, die normalerweise an der Umsetzung solcher Gestaltungen beteiligt sind. Wenn jedoch solche Intermediäre fehlen oder sie sich auf eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht berufen können, trifft die Meldepflicht den Steuerpflichtigen:

    (6) Die Meldung potenziell aggressiver grenzüberschreitender Steuerplanungsgestaltungen kann die Bemühungen zur Schaffung einer gerechten Besteuerung im Binnenmarkt nachhaltig unterstützen. Hier würde die Verpflichtung der Intermediäre, die Steuerbehörden über bestimmte grenzüberschreitende Gestaltungen zu informieren, die möglicherweise für aggressive Steuerplanung genutzt werden könnten, einen Schritt in die richtige Richtung darstellen. [...]

    [...]

    (8) Um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und Schlupflöcher in den vorgeschlagenen Rahmenvorschriften zu vermeiden, sollten alle Akteure, die normalerweise an der Konzeption, Vermarktung, Organisation oder Verwaltung der Umsetzung einer meldepflichtigen grenzüberschreitenden Transaktion oder einer Reihe solcher Transaktionen beteiligt sind, sowie alle, die Unterstützung oder Beratung leisten, zur Meldung verpflichtet sein. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass in bestimmten Fällen die Meldepflicht eines Intermediärs aufgrund einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht nicht durchsetzbar ist oder gar kein Intermediär vorhanden ist, weil beispielsweise der Steuerpflichtige eine Steuerplanungsgestaltung selbst konzipiert und umsetzt. Es wäre äußerst wichtig, dass die Steuerbehörden in solchen Fällen weiterhin die Möglichkeit haben, Informationen über Steuergestaltungen zu erhalten, die potenziell mit aggressiver Steuerplanung verbunden sind. Hierfür müsste die Meldepflicht auf den Steuerpflichtigen verlagert werden, der in diesen Fällen von der Gestaltung profitiert

    (Erwägungsgründe 6-8).

    B.1.3. Zur Umsetzung dieser Meldepflicht, was die Französische Gemeinschaft betrifft, führt das Dekret vom 12. November 2020 einige Abänderungen am Dekret der Französischen Gemeinschaft vom 12. Januar 2017 « über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich » (nachstehend: Dekret vom 12. Januar 2017) durch.

    Durch Artikel 3 des Dekrets vom 12. November 2020 werden in Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets vom 12. Januar 2017 einige Definitionen eingeführt:

    20° ` dispositif transfrontière ': un dispositif concernant plusieurs Etats membres ou un Etat membre et un pays tiers si l'une au moins des conditions suivantes est remplie :

    a) tous les participants au dispositif ne sont pas résidents à des fins fiscales dans la même juridiction;

    b) un ou plusieurs des participants au dispositif sont résidents à des fins fiscales dans plusieurs juridictions simultanément;

    c) un ou plusieurs des participants au dispositif exercent une activité dans une autre juridiction par l'intermédiaire d'un établissement stable situé dans cette juridiction, le dispositif constituant une partie ou la totalité de l'activité de cet établissement stable;

    d) un ou plusieurs des participants au dispositif exercent une activité dans une autre juridiction sans être résidents à des fins fiscales ni créer d'établissement stable dans cette juridiction;

    e) un tel dispositif peut avoir des conséquences sur l'échange automatique d'informations ou sur l'identification des bénéficiaires effectifs.

    Aux fins de l'application du 20° au 27° du paragraphe 2 et de l'article 5/2, on entend également par dispositif une série de dispositifs. Un dispositif peut comporter plusieurs étapes ou parties;

    21° ` dispositif transfrontière devant faire l'objet d'une déclaration ' : tout dispositif transfrontière comportant au moins l'un des marqueurs;

    22° ` marqueur ' : une caractéristique ou particularité d'un dispositif transfrontière qui indique un risque potentiel d'évasion fiscale, telle que recensée au paragraphe 2;

    23° ` intermédiaire ' : toute personne qui conçoit, commercialise ou organise un dispositif transfrontière devant faire l'objet d'une déclaration, le met à disposition aux fins de sa mise en oeuvre ou en gère la mise en oeuvre...

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