Auszug aus dem Entscheid Nr. 87/2023 vom 8. Juni 2023 Geschäftsverzeichnisnummer 7737 In Sachen: Klage auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2021 « zur
Auszug aus dem Entscheid Nr. 87/2023 vom 8. Juni 2023Geschäftsverzeichnisnummer 7737In Sachen: Klage auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2021 « zur Abänderung des Mehrwertsteuergesetzbuches hinsichtlich der Steuerbefreiung in Bezug auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin », erhoben von der VoG « Union professionnelle des logopèdes francophones » und anderen.Der Verfassungsgerichtshof,zusammengesetzt aus dem Präsidenten P. Nihoul, der vorsitzenden Richterin J. Moerman, und den Richtern Y. Kherbache, T. Detienne, E. Bribosia, W. Verrijdt und K. Jadin, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten P. Nihoul,erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:I. Gegenstand der Klage und VerfahrenMit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 20. Januar 2022 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 24. Januar 2022 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben Klage auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2021 « zur Abänderung des Mehrwertsteuergesetzbuches hinsichtlich der Steuerbefreiung in Bezug auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin » (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 20. Juli 2021): die VoG « Union professionnelle des logopèdes francophones », die VoG « Axxon, Physical Therapy in Belgium », die VoG « Ergotherapie Belgium », die « Union professionnelle des sages-femmes belges », die « LC Kiné » GmbH, Annabelle Duval, Vanessa Wittvrouw und Filip Schepens, unterstützt und vertreten durch RA M. Uyttendaele, RÄin A. Feyts, RÄin C. Joly und RA L. Tainmont, in Brüssel zugelassen.(...)II. Rechtliche Würdigung(...)In Bezug auf die angefochtene BestimmungB.1.1. Artikel 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2021 « zur Abänderung des Mehrwertsteuergesetzbuches hinsichtlich der Steuerbefreiung in Bezug auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin » (nachstehend: Gesetz vom 11. Juli 2021) hat Artikel 44 § 1 des Mehrwertsteuergesetzbuches ersetzt. In Anwendung von Artikel 4 desselben Gesetzes ist er am 1. Januar 2022 in Kraft getreten.Mit dieser Bestimmung wird die Regelung der Steuerbefreiung von der Mehrwertsteuer, die für nicht im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts erbrachte Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, abgeändert, um dem Nichtigkeitsentscheid des Gerichtshofes Nr. 194/2019 vom 5. Dezember 2019 (ECLI:BE:GHCC:2019:ARR.194) zu entsprechen und diese Regelung mit Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 « über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem » (nachstehend: Mehrwertsteuerrichtlinie) (Parl. Dok., Kammer, 2019-2020, DOC. 55-1369/001, SS 4-6, 11-18 und 35) in Einklang zu bringen. B.1.2. Vor seiner teilweisen Nichtigerklärung durch den vorerwähnten Entscheid des Gerichtshofes Nr. 194/2019 bestimmte Artikel 44 § 1 des Mehrwertsteuergesetzbuches:« Steuerfrei sind Dienstleistungen, die von nachstehend erwähnten Personen in der Ausübung ihrer gewöhnlichen Tätigkeit erbracht werden:1. Ärzten, Zahnärzten und HeilgymnastenDie in Nr. 1 erwähnte Befreiung gilt nicht für Dienstleistungen, die von Ärzten erbracht werden und sich auf ästhetische Eingriffe und Behandlungen beziehen:a) wenn diese Eingriffe und Behandlungen nicht im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind,b) wenn diese Eingriffe und Behandlungen zwar im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind, jedoch nicht die Bedingungen für einen Anspruch auf Erstattung gemäß den Vorschriften in Bezug auf die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung erfüllen,2. Hebammen, Krankenpflegern und Pflegehelfern,3. Fachkräften in einem anerkannten und reglementierten Heilhilfsberuf; betroffen sind ihre Leistungen heilhilfsberuflicher Art, die im Verzeichnis der Gesundheitsleistungen für die Kranken- und Invalidenpflichtversicherung aufgenommen sind ».Chiropraktiker, Osteopathen und einige ihrer Berufsverbände haben die Nichtigerklärung dieser Bestimmung aus dem Grund beantragt, dass sie einen ungerechtfertigten Behandlungsunterschied zwischen einerseits den Fachkräften, die einen ärztlichen oder arztähnlichen Beruf ausüben, der durch das am 10. Mai 2015 koordinierte Gesetz über die Ausübung der Gesundheitspflegeberufe (nachstehend: koordiniertes Gesetz vom 10. Mai 2015) geregelt wird, die Anspruch auf die Steuerbefreiung hatten, und andererseits den Chiropraktikern und Osteopathen, die davon ausgenommen waren, zur Folge hatte.In seinem Zwischenentscheid Nr. 106/2017 vom 28. September 2017 (ECLI:BE:GHCC:2017:ARR.106) hat der Verfassungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:« Ist Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass diese Bestimmung die darin erwähnte Befreiung sowohl hinsichtlich der konventionellen als auch der nicht konventionellen Praktiken den Inhabern eines den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Gesundheitspflegeberufe unterliegenden ärztlichen oder artzähnlichen Berufs, die den in diesen innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Anforderungen entsprechen, vorbehält und dass Personen, die nicht diesen Anforderungen entsprechen, jedoch einer Berufsvereinigung von Chiropraktikern und Osteopaten angeschlossen sind und den durch diese Vereinigung gestellten Anforderungen entsprechen, davon ausgeschlossen sind? ».In seinem Urteil vom 27. Juni 2019 in Sachen Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u.a. (C-597/17, ECLI:EU:C:2019:544) hat der Gerichtshof der Europäischen Union geantwortet:« 17. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Steuerbefreiung auf Leistungen beschränkt, die von Angehörigen eines durch das Recht des betreffenden Mitgliedstaats reglementierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufs erbracht werden.[...]19. Aus einer wörtlichen Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 folgt, dass eine Dienstleistung von der Steuer zu befreien ist, wenn sie zwei Voraussetzungen genügt, nämlich erstens eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin darstellt und zweitens im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 27, sowie vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 23).20. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Angehörigen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Berufe in der Tat Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, da sie Behandlungen anbieten, die dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu therapieren und, soweit möglich, zu heilen.21. Vor diesem Hintergrund zielt die vorgelegte Frage allein darauf ab, die Bedeutung der zweiten in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzung zu präzisieren, indem geklärt wird, ob nur die durch das Recht des betreffenden Mitgliedstaats reglementierten Berufe als ` ärztliche und arztähnliche Berufe ' im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 anzusehen sind.22. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Voraussetzung zwar eine Beschränkung der von ihr erfassten Steuerbefreiung auf bestimmte Berufe impliziert, aus dem Wortlaut der Vorschrift aber nicht hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber die betroffenen Mitgliedstaaten dazu verpflichten wollte, diese Befreiung auf die durch ihr Recht reglementierten Berufe zu beschränken.23. Es ergibt sich nämlich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass sie den Begriff ` ärztliche und arztähnliche Berufe ' nicht selbst definiert, sondern hierfür auf die Definition in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 28).24. Die Mitgliedstaaten verfügen somit, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung, über ein Ermessen bei der Bestimmung der Berufe, im Rahmen deren Ausübung Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit sind, und insbesondere bei der Festlegung der Qualifikationen, die für die Ausübung dieser Berufe erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 29, 30 und 32).25. Dieses Ermessen ist jedoch nicht unbegrenzt, denn die Mitgliedstaaten müssen zum einen das Ziel dieser Vorschrift - nämlich zu gewährleisten, dass die Steuerbefreiung nur auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin angewandt wird, die von Anbietern mit den erforderlichen beruflichen Qualifikationen erbracht werden - und zum anderen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 31, 36 und 37).26. Die Mitgliedstaaten müssen also erstens die Erfüllung dieses Ziels gewährleisten, indem sie dafür sorgen, dass die in der genannten Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung nur für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, die eine ausreichende Qualität aufweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 37).27. Auch wenn es den Mitgliedstaaten obliegt, zu prüfen, ob die betreffenden Anbieter von Heilbehandlungen über die hierfür erforderlichen beruflichen Qualifikationen...
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