Arrêt Nº 77/2018. Cour constitutionnelle (Cour d'Arbitrage), 2018-06-21

Date21 juin 2018
Docket NumberF-20180621-6
CourtVerfassungsgericht (Schiedsgericht),Cour constitutionnelle (Cour d'Arbitrage)
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
[2018/203386]
Auszug aus dem Entscheid Nr. 77/2018 vom 21. Juni 2018
Geschäftsverzeichnisnummern 6596 und 6598
In Sachen: Klagen auf völlige oder teilweise Nichtigerklärung des Gesetzes vom 6. Juli 2016 zur Abänderung des
Gerichtsgesetzbuches in Bezug auf den juristischen Beistand, erhoben von E.M. und von der VoG «Aimer Jeunes »
und anderen.
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten J. Spreutels und A. Alen, den Richtern L. Lavrysen, J.-P. Snappe,
J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût, T. Giet und R. Leysen, und dem emeritierten
Präsidenten E. De Groot gemäß Artikel 60bis des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof,
unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten J. Spreutels,
erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Klagen und Verfahren
Mit zwei Klageschriften, die dem Gerichtshof mit am 16. Januar 2017 bei der Post aufgegebenen Einschreibebriefen
zugesandt wurden und am 17. und 18. Januar 2017 in der Kanzlei eingegangen sind, erhoben jeweils Klage auf völlige
oder teilweise (Artikel 3 bis 9, 11 und 13 bis 19) Nichtigerklärung des Gesetzes vom 6. Juli 2016 zur Abänderung des
Gerichtsgesetzbuches in Bezug auf den juristischen Beistand (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 14. Juli 2016):
E.M. , unte rstüt zt und v ertre ten du rch RA R. Fo ntey n, in Br üssel z ugel asse n, bez iehu ngsw eise d ie
VoG «Aimer Jeunes », die VoG «Association pour le droit des Etrangers », die VoG «Association Syndicale des
Magistrats », die VoG «ATD Quart Monde Belgique », die VoG «Réseau Belge de Lutte contre la Pauvreté »,
die VoG «Bureau dAccueil et de Défense des Jeunes », die VoG «Coordination et Initiatives pour et avec les Réfugiés
et Etrangers », die VoG «Défense des Enfants - International - Belgique - Branche francophone (D.E.I. Belgique)»,
die VoG «Intact », di e VoG «Ligue des Droi ts de lHomme », die VoG «lutt es solid arités travail »,
die VoG «Medimmigrant »,die VoG «ORCA : Organisatievoor clandestienearbeidsmigranten », dieVoG «Point dappui.
Service daide aux personnes sans papiers », die VoG «Réseau wallon de lutte contre la pauvreté », die VoG «Service
dAction Sociale Bruxellois », die VoG «Service International de Recherche, dEducation et dAction sociale »,
die VoG «Syndicat des Avocats pour la Démocratie », die VoG «Vlaams Netwerk van verenigingen waar armen het
woord nemen », die VoG«Vluchtelingenwerk Vlaanderen »und Dominique Andrien, unterstützt und vertreten durch
RÄin. M. Doutrepont und RAïn C. Forget, in Brüssel zugelassen.
Diese unter den Nummern 6596 und 6598 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen
wurden verbunden.
(...)
II. Rechtliche Würdigung
(...)
In Bezug auf das angefochtene Gesetz und die Prüfung der Klagegründe
B.1.1. Die verbundenen Klagen bezwecken die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Gesetzes vom
6. Juli 2016 zur Abänderung des Gerichtsgesetzbuches in Bezug auf den juristischen Beistand. Aus den Antragschriften
geht hervor, dass die Klagegründe die Artikel 3 bis 5, 7, 9 und 13 bis 19 dieses Gesetzes betreffen.
B.1.2. Nach dem Wortlaut von Artikel 508/1 Nr. 2 des Gerichtsgesetzbuches ist der weiterführende juristische
Beistand:
«der juristische Beistand, der einer natürlichen Person in Form eines ausführlichen juristischen Gutachtens
gewährt wird, oder der juristische Beistand im Rahmen oder außerhalb eines Verfahrens oder der Beistand im Rahmen
eines Prozesses einschließlich der Vertretung im Sinne von Artikel 728 ».
B.1.3. Durch die angefochtenen Bestimmungen werden auch die Bedingungen für die Gewährung der
Gerichtskostenhilfe abgeändert. Nach Artikel 664 des Gerichtsgesetzbuches in der durch Artikel 15 des angefochtenen
Gesetzes abgeänderten Form:
«Gerichtskostenhilfe besteht darin, Personen, die nicht über die erforderlichen Existenzmittel verfügen,
um die Kosten eines Verfahrens, auch eines außergerichtlichen Verfahrens, zu bestreiten, von der Zahlung der
verschiedenen G ebühren, Registrie rungs-, Kanzlei- u nd Ausfertigungsge bühren, und der anderen K osten,
die mit einem Verfahren verbunden sind, ganz oder teilweise zu befreien. Sie garantiert den Betreffenden ebenfalls
das unentgeltliche Eingreifen der öffentlichen und ministeriellen Amtsträger unter den nachstehend erwähnten
Bedingungen.
Sie ermöglicht den Betreffenden ebenfalls, den unentgeltlichen Beistand eines Fachberaters bei gerichtlichen
Begutachtungen in Anspruch zu nehmen ».
B.1.4. Gemäß der Begründung des angefochtenen Gesetzes soll mit diesem «die Philosophie des Systems des
unentgeltlichen juristischen Beistands, insbesondere der Zugang von allen zum Recht, erhalten und zugleich einer
großen Zahl von Anträgen auf juristischen Beistand in Belgien Rechnung getragen werden [und] das System des
weiterführenden juristischen Beistands reformiert und modernisiert werden, um diesen Beistand für diejenigen,
die einen Anspruch darauf haben, dauerhaft zu gewährleisten »und «soll ein Gleichgewicht zwischen dem Zugang
der Rechtsuchenden zum Recht und einer angemesseneren Vergütungder Rechtsanwälte für die tatsächlich erbrachten
Leistungen angestrebt werden »(Parl. Dok., Kammer, 2015-2016, DOC 54-1819/001, S. 4).
B.1.5. Um diese Zielsetzung zu erreichen, sieht der Gesetzgeber insbesondere die folgenden Maßnahmen vor:
- die Einführung des Grundsatzes der Zahlung eines Beitrags durch den Begünstigten;
- eine bessere Denition der Mittel des potenziellen Empfängers des juristischen Beistands, die bei der Prüfung,
ob die Bedingungen für ihre Gewährung vorliegen, zu berücksichtigen sind;
- die Einführung einer geeigneteren Kontrolle der Existenzmittel des Antragstellers;
- den widerlegbaren Charakter der verschiedenen Vermutungen, dass die Einkünfte ungenügend sind,
zugunsten bestimmter Kategorien von Rechtsuchenden;
- die Einführung eines geeigneten Kontrollmechanismus, der es den Büros für juristischen Beistand erlaubt,
die erbrachten Leistungen besser zu kontrollieren;
- die Eintragung der Rechtsanwälte, die Leistungen des juristischen Beistands erbringen möchten, durch die
Rechtsanwaltskammern in eine Liste und die Möglichkeit der Rechtsanwaltskammern, bestimmte Rechtsanwälte von
Amts wegen einzutragen;
- die Schaffung eines Mechanismus, der es den Rechtsanwälten gestattet, vom Begünstigten direkt eine
Entschädigung zu verlangen, wenn er durch ihre Tätigkeit einen bestimmten Betrag erhalten hat;
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BELGISCH STAATSBLAD 18.07.2018 MONITEUR BELGE
- die Anpassung des «Verzeichnisses », um die Punkte gerechter zu vergeben und den Wert der Punkte für
gleichwertige Verfahren zu harmonisieren (ebd., SS. 5-8).
B.2. Der Gerichtshof prüft die Klagegründe, indem er sie in der folgenden Weise zusammenfasst:
1. die Klagegründe, die sich auf den Begriff «Existenzmittel »beziehen (Artikel 5, 7, 13 bis 16 und 18 des
angefochtenen Gesetzes): B.3.1 - B.12.6;
2. die Klagegründ e, die sich auf die vo n den Rechtsuche nden zu entrichte nden Beiträge bez iehen
(Artikel 7 des angefochtenen Gesetzes): B.13.1 - B.17.4;
3. die Klagegründe, die sich auf die Rolle der Rechtsanwaltskammern bei der Bestellung der Leistungserbringer
und der Überprüfung der Leistungen beziehen (Artikel 3 und 4 des angefochtenen Gesetzes): B.18.1 - B.28;
4. die Klagegründe, die sich auf den Vergütungsanspruch der Rechtsanwälte beziehen (Artikel 7 und 9 des
angefochtenen Gesetzes): B.29 - B.34;
5. den Klagegrund, der sich auf das Monopol der belgischen Rechtsanwaltskammern für die Leistungen des
weiterführenden juristischen Beistands bezieht (Artikel 3, 5 und 7 des angefochtenen Gesetzes): B.35 - B.37;
6. den Klageg rund, der sic h auf das Recht v on Ausländern, d eren Aufenthal t nicht gesta ttet ist,
auf Gerichtskostenhilfe bezieht (Artikel 17 des angefochtenen Gesetzes): B.38.1 - B.44;
7. die Klagegründe, die sich auf das Inkrafttreten des angefochtenen Gesetzes beziehen (Artikel 19 des
angefochtenen Gesetzes): B.45.1 - B.48.
In Bezug auf die Klagegründe, die sich auf den Begriff «Existenzmittel »beziehen
B.3.1. Durch Artikel 5 Nr. 1 und 3 des angefochtenen Gesetzes vom 6. Juli 2016 werden an Artikel 508/13 des
Gerichtsgesetzbuches folgende Abänderungen vorgenommen:
«1. In Absatz 1 werden die Wörter éderen Einkommen ungenügend istdurch die Wörter deren Existenzmittel
ungenügend sind ersetzt;
[...]
3. Absatz 2 wird wie folgt ersetzt:
Der König bestimmt durch einen im Ministerrat beratenen Erlass den Umfang dieser Existenzmittel,
welche Belege vorgelegt werden müssen und welche Personen mit denen gleichgestellt werden, deren Existenzmittel
ungenügend sind. ;
[...] ».
Der angefochtene Artikel 7 ersetzt Artikel 508/17 des Gerichtsgesetzbuches. Diese Bestimmung sieht in
Paragraph 2 vor, dass der Begünstigte des teilweise unentgeltlichen juristischen Beistands verpichtet ist, einen Beitrag
«im Verhältnis zu seinen Existenzmitteln »zu entrichten, und dass der König die Höhe dieses Beitrags
«im Verhältnis zu den Existenzmitteln »festlegt.
Der angefochtene Artikel 13 ersetzt in den Artikeln 508/22Absatz 1 und 508/23 Absatz 1 des Gerichtsgesetzbuches
das Wort «Einkommensbedingungen »durch die Wörter «Bedingungen in Bezug auf die Existenzmittel».
Der angefochtene Artikel 14 ersetzt in Artikel 508/25 des Gerichtsgesetzbuches die Wörter «ein ungenügendes
Einkommen »durch die Wörter «ungenügende Existenzmittel ».
Der angefochtene Artikel 15 ersetzt in Artikel 664 Absatz 1 des Gerichtsgesetzbuches das Wort «Einkünfte »
durch das Wort «Existenzmittel».
Der angefochtene Artikel 16 ersetzt Artikel 667 des Gerichtsgesetzbuches über die Gerichtskostenhilfe. Gemäß
Absatz 1 der neuen Bestimmung wird Gerichtskostenhilfe Personen belgischer Staatsangehörigkeit gewährt,
wenn sie nachweisen, dass ihre Existenzmittel ungenügend sind.
Der angefochtene Artikel 18 ersetzt in den Artikeln 669, 677 Absatz 1, 693 Absatz 1 und 699ter des
Gerichtsgesetzbuches den Begriff «Einkünfte »jeweils durch den Begriff «Existenzmittel».
B.3.2. Aus diesen Änderungen ergibt sich, dass der Zugang zum weiterführenden juristischen Beistand und zur
Gerich tskost enhilf e nunmeh r den Nac hweis vo rausse tzt, das s der Antra gstell er nicht üb er genügende
«Existenzmittel »verfügt, um die Dienste seines Rechtsanwalts zu bezahlen und um die Gerichtskosten nach den
geltenden Regeln und Gebührenordnungen zu entrichten.
B.3.3. In der Begründung ist zu diesen Bestimmungen angegeben:
«Par ailleurs, un contrôle plus adéquat des moyens dexistence du demandeur sera mis en place.
Le système actuel dexamen des ressources laisse apparaître que nombre de celles-ci ne sont pas suffisamment
prises en compte, et notamment les revenus de biens immobiliers, les revenus de biens mobiliers, ou l’épargne en tant
que telle.
Ainsi, les textes du Code judiciaire relatifs aux conditions nancières daccèsàlaide juridique de deuxième ligne
et àlassistance judiciaire seront harmonisés et feront référence àla notion de moyens dexistence . De même, larrêté
royal du 18 décembre 2003 déterminant les conditions de la gratuitétotale ou partielle du bénéfice de laide juridique
de deuxième ligne et de lassistance judiciaire (MB 24 décembre 2003) sera également modifié an de prendre en compte
lensemble des moyens dexistence du bénéficiaire.
Lexamen de lensemble des moyens dexistence des demandeurs permettra ainsi dassurer laide juridique àceux
qui en ont besoin, et permettra de faire échec àce bénéfice pour ceux qui disposent, en réalité, dun accèsàla justice
par la voie traditionnelle »(Doc. parl., Chambre, 2015-2016, DOC 54-1819/001, p. 6).
Es wird ebenfalls dargelegt, dass die Änderungen einer Vereinheitlichung der Begriffe dienen:
«Même si le présent projet entend recourir au concept unique de ressources et [...] lutiliser àla fois pour laide
juridique et lassistance judiciaire, il convient cependant daligner également les versions linguistiques.
En effet, la version française actuelle de larticle 508/13 utilise le concept de ressources, ce qui est en concordance
avec le but du présent projet. Toutefois, en néerlandais, le terme inkomsten ne reflète pas exactement la notion de
ressources . Cest pourquoi il est fait appel àla notion de bestaansmiddelen en néerlandais. En vue dune traduction
harmonieuse, on utilisera dorénavant les mots moyens dexistence en français plutôt que ressources ,
ce qui saccorde tout aussi bien au but visépar le présent projet »(ibid., p. 11).
Zu der in Artikel 508/13 Absatz 2 des Gerichtsgesetzbuches vorgenommenen Ermächtigung des Königs präzisiert
die Begründung:
«[...] cest larrêtéroyal du 18 décembre 2003 déterminant les conditions de la gratuitétotale ou partielle du
bénéfice de laide juridique de deuxième ligne et de lassistance judiciaire qui met en œuvre cet article et qui précise
les éléments du patrimoine àprendre en compte pour pouvoir bénéficier de laide juridique. Cet arrêtédevra être
modifié an de pouvoir tenir compte de tous les moyens dexistence du bénéficiaire comme par exemple les revenus
professionnels, les revenus de biens immobiliers, les revenus des biens mobiliers et divers, les capitaux, les avantages,
le bien immobilier àlexception de sa propre et unique habitation, etc. »(ibid.).
57112 BELGISCH STAATSBLAD 18.07.2018 MONITEUR BELGE

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