Arrêt Nº 134/2011. Cour constitutionnelle (Cour d'Arbitrage), 2011-07-27

Date27 juillet 2011
Docket NumberF-20110727-2
CourtGrondwettelijk Hof (Arbitragehof),Cour constitutionnelle (Cour d'Arbitrage)
ÜBERSETZUNG
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
[2011/204627]
Auszug aus dem Urteil Nr. 134/2011 vom 27. Juli 2011
Geschäftsverzeichnisnummer 4961
In Sachen: Präjudizielle Fragen in Bezug auf Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches, gestellt von der
Anklagekammer des Appellationshofes Mons.
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus dem Richter und stellvertretenden VorsitzendenJ.-P. Snappe, dem VorsitzendenM. Bossuyt,
und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, J. Spreutels, P. Nihoul und F. Daoût, unter Assistenz des Kanzlers
P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Richters J.-P. Snappe,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Fragen und Verfahren
In seinem Urteil vom 10. Juni 2010 in Sachen der Staatsanwaltschaft und der «I.C.D.I.»Gen.mbH gegen R.L.,
dessen Ausfertigung am 14. Juni 2010 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat die Anklagekammer des
Appellationshofes Mons folgende präjudizielle Fragen gestellt:
«1. Verstößt Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem die
dadurch eingeführte Regelung keine Anwendung ndet auf die Sozialgerichtsräte und die Handelsrichter, die haupt-
beruich eine Berufstätigkeit ausüben, die nicht mit ihrem richterlichen Amt zusammenhängt, dagegen wohl
Anwendung ndet auf die stellvertretenden Magistrate, die ebenfalls hauptberuich eine Berufstätigkeit ausüben,
von der angenommen werden könnte, dass sie nicht mit ihrem richterlichen Amt zusammenhängt?
2. Verstößt Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem die
dadurch eingeführte Regelung weiterhin Anwendung ndet auf die ordentlichen oder stellvertretenden Magistrate,
die ihr richterliches Amt nicht mehr ausüben, weil sie die Altersgrenze erreicht haben, dagegen nicht länger
Anwendung ndet auf die ordentlichen oder stellvertretenden Magistrate, die ebenfalls ihr richterliches Amt nicht
mehr ausüben, allerdings aus anderen, beispielsweise gesundheitlichen Gründen?».
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
B.1. Seit seiner letzten Abänderung - durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Februar 2010 «zur Anpassung
verschiedener Gesetze, die eine in Artikel 78 der Verfassung erwähnte Angelegenheit regeln, an die Bezeichnung
Verfassungsgerichtshof - bestimmt Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches:
«Wenn ein Friedensrichter, ein Richter am Polizeigericht, ein Richter am Gericht erster Instanz, am Arbeitsgericht
oder am Handelsgericht, ein Gerichtsrat am Appellationshof oder am Arbeitsgerichtshof, ein Gerichtsrat am
Kassationshof, ein Magistrat der Staatsanwaltschaft bei einem Gericht oder einem Gerichtshof, ein Referent beim
Kassationshof, ein Mitglied des Rechnungshofes, ein Mitglied des Staatsrates, des Auditorats oder des Koordinations-
büros beim Staatsrat, ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, ein Referent bei diesem Hof, die Mitglieder des Rates
für Ausländerstreitsachen, ein Provinzgouverneur beschuldigt wird, außerhalb seines Amtes eine Straftat begangen zu
haben, die eine Korrektionalstrafe zur Folge hat, lässt der Generalprokurator beim Appellationshof ihn vor diesen Hof
laden, der urteilt, ohne dass Berufung eingelegt werden kann».
In Bezug auf die erste präjudizielle Frage
B.2. Aus dem Sachverhalt der dem vorlegenden Richter unterbreiteten Rechtssache, den Verfahrensunterlagen und
der Begründung der Verweisungsentscheidung geht hervor, dass der Hof gebeten wird, über die Vereinbarkeit von
Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung zu urteilen, insofern er einen
Behandlungsunterschied zwischen zwei Kategorien von Personen einführe, die geltend machten, durch eine Straftat
mit der Folge einer Korrektionalstrafe geschädigt worden zu sein, die von einer Person begangen worden sei,
die nebenberuich ein richterliches Amt und hauptberuich eine nicht mit diesem Amt zusammenhängende Tätigkeit
ausübe, wenn diese Straftat außerhalb dieses richterlichen Amtes begangen worden sei: einerseits die Personen,
die geltend machten, durch eine Straftat geschädigt worden zu sein, die ein Sozialgerichtsrat oder ein Handelsrichter
begangen habe, und andererseits diejenigen, die geltend machten, durch eine Straftat geschädigt worden zu sein,
die ein stellvertretender Friedensrichter begangen habe.
Die fragliche Bestimmung habe zur Folge, dass die zur letzteren Kategorie gehörenden Personen nicht als
Zivilpartei vor einem Untersuchungsrichter auftreten könnten, um die Strafverfolgung in Gang zu setzen.
B.3. Die fragliche Bestimmung behält dem Generalprokurator bei dem Appellationshof die Befugnis vor,
die Strafverfolgung wegen einer Straftat in Gang zu setzen, die durch einen Inhaber eines öffentlichen Amtes im Sinne
dieser Bestimmung begangen worden ist.
B.4. Sozialgerichtsräte, Handelsrichter und stellvertretende Friedensrichter sind in dieser Bestimmung nicht
ausdrücklich erwähnt.
Es wird jedoch angenommen, dass Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches auf stellvertretende Friedensrichter
Anwendung ndet (Kass., 7. April 1975, Pas., 1975, I, S. 772), jedoch nicht auf Sozialgerichtsräte und Handelsrichter
(Kass., 18. März 2008, Pas., 2008, Nr. 188; Kass., 15. Dezember 1998, Pas., 1998, I, Nr. 521).
B.5.1. Das «Gerichtsbarkeitsvorrecht», das auf die in der fraglichen Bestimmung erwähnten Inhaber öffentlicher
Ämter anwendbar ist, wurde im Hinblick auf die Gewährleistung einer unparteiischen und sachlichen Rechtspege
bezüglich dieser Personen eingeführt. Die besonderen Regeln hinsichtlich der Untersuchung, Verfolgung und
Aburteilung, die dieses «Vorrecht»beinhaltet, sollen verhindern, dass einerseits unbedachte, ungerechtfertigte oder
schikanöse Verfolgungen gegen die betreffenden Personen eingeleitet werden, und andererseits, dass dieselben
Personen entweder zu streng oder zu nachsichtig behandelt werden.
All diese Begründungen können es prinzipiell vernünftig rechtfertigen, dass die Personen, auf die das
«Gerichtsbarkeitsvorrecht»Anwendung ndet, hinsichtlich der Untersuchung, der Verfolgung und der Aburteilung
anders behandelt werden als die Rechtsunterworfenen, auf die die gewöhnlichen Regeln des Strafverfahrens
anwendbar sind.
B.5.2. Die Regeln bezüglich des Gerichtsbarkeitsvorrechts wurden aus Gründen allgemeinen Interesses eingeführt,
und nicht zum persönlichen Vorteil der Personen, auf die die Regelung Anwendung ndet.
Diese Regeln gehören zur öffentlichenOrdnung, so dass diese Personen nicht darauf verzichten können, auch nicht
wenn sie der Auffassung sind, dass dieAnwendung der gewöhnlichen Regeln des Strafverfahrens für sie vorteilhafter
wäre.
70435
MONITEUR BELGE 29.11.2011 BELGISCH STAATSBLAD

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